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Im Mai 2011 bin ich nach 6 Jahren in Irland zurück nach Deutschland gezogen und habe diesen Blog eingestellt. Mein neuer Blog heißt Geist und Gegenwart und ist unter www.geistundgegenwart.de zu erreichen.

Samstag, 16. Juli 2005

Unser Haus: Ein ehemaliges Bordell in der Talbot Street

Ein alter Verdacht hat sich erhärtet: das Haus in dem wir leben, war früher - so bekam es Micheal von einer älteren Taxifahrerin erzählt - ein Bordell. Der ganze Stadtteil war bis in die 50er Jahre ein Rotlichtviertel. Die großen und üppig ausgestatteten Räume mit ihren massiven Türen, den weinroten Tapeten und dem ganzen Messingklimbim, den Kronleuchtern, Spiegeln und Kerzenhaltern kamen mir gleich komisch vor. Nun erklärt sich auch, dass es in den Schlafzimmern kleine holzgetäfelte Waschnischen gibt. In meinem Zimmer gibt es die zwar nicht, dafür ist es aber größer und beherbergt einen Panzerschrank, war also eher der Büroraum und weniger für die Ausübung der Profession gedacht. So ein Puff braucht schließlich auch Management: Geldzählen, bunkern, Rivalen von ihrem Tun abbringen, ernste Worte mit den Schaffenden reden usw. Auffällig ist auch, dass mein Zimmer das einzige ist, aus dem man ganz bequem durchs Fenster in den verwinkelten Innenhof oder über die benachbarten Dächer verschwinden kann (und leider auch vom Hof ins Zimmer kommt, wie sich später zeigen wird. Außerdem haben wir unten im Keller, dort wo der Whirlpool und das andere Klo sind, noch einen Safe gefunden, der groß genug wäre, ganze Monatseinnahmen zu verstauen. Natürlich ist der Safe verschlossen und ich kenne zwar Leute, die Software-Codes knacken können, aber für solche Hardware-Probleme kenne ich niemanden. Also gibt's hier doch Leichen im Keller, wie schon vermutet. Im Safe werden vermutlich leere Bierflaschen liegen oder Kondompackungen "best before 12/1957". Vielleicht auch bündelweise alte irische Pfundnoten, die man heute nur noch zum Museum bringen könnte.


Ich mag das Haus, mit jedem Tag mehr. Auch, wenn ich jetzt nachgeben musste und mir Ohrstöpsel für die Wochenenden gekauft habe. Meine Mitbewohner sind zwar immer sehr einsichtig, wenn ich darum bitte, Sonntag früh nicht solchen Krach zu machen, aber wenn sie dann wieder nach Hause kommen, gut aufgedreht, dann stoppt sie kein Gedanke. Aber ich mag es, hier auf eine Couch zu liegen, ein Buch oder eine Zeitschrift zu lesen und Dublins Straßen-Geräusche durchs offene Fenster zu hören. Die zentrale Busstation "Busaras" ist nicht weit weg, der Bahnhof gleich nebenan und deswegen laufen an so einem Samstag tausende Touristen unter unseren Fenstern vorbei. Sie reden in hundert Sprachen, zerren die interessantesten Gegenstände hinter sich her und an den Kleidern kann man versuchen zu erraten, wo sie herkommen. In solchen Momenten kenne ich den Unterschied zwischen Besuchern dieser Stadt und mir. Aber ich denke dann auch gleich an den Unterschied zwischen Ich-in-Berlin und Ich-in-Dublin.

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