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Im Mai 2011 bin ich nach 6 Jahren in Irland zurück nach Deutschland gezogen und habe diesen Blog eingestellt. Mein neuer Blog heißt Geist und Gegenwart und ist unter www.geistundgegenwart.de zu erreichen.
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Samstag, 4. September 2010

Die acht Essentials für prekäres Wohnen

Um das prekäre Wohnen halbwegs erträglich zu machen, braucht man seine ganz individuellen sieben Sachen. Oder acht in meinem Fall. An was muss man neben den selbstverständlichen Sachen wie Kleidung und Geld noch denken, um die Zivilisation selbst unter den widrigsten Bedingungen hoch zu halten? Anständig aus dem Koffer leben ist eine Kunst. Deswegen hier meine acht Essentials:

  1. Elektrische Zahnbürste und Rasierer. Auf keinen Fall dürfen nicht-elektrische, manuelle Rasierer oder Zahnbürsten mitgenommen werden. Das verstärkte nur den Eindruck vom prekärem Leben.
  2. Besteck. Besser noch als mein Reisebesteck wäre ein echtes Silberbesteck mit Elfenbeingriffen.
  3. Der Reise-Adapter. Klarer Fall!
  4. Ein gutes Buch. Am besten etwas romantisch-rebellisches wie hier von Edward Abbey. Da lernt man auch widrige Umstände schätzen.
  5. Der Laptop. Ohne verdummt man, hat einen Kontakt zur Außenwelt, sieht keine Nachrichten und wird von seinen Facebook-Freunden vergessen.
  6. Schlafmaske und Ohrenstöpsel. Ernsthaft: Ohne macht man kein Auge zu. Besonders in Dublin, wo die Sonne um 5 aufgeht und die nachbarlichen Alarmanlagen die ganze Nacht hindurch heulen. Exkurs: Alarmanlagen sind in Dublin überall, aber niemand nimmt sie ernst. Ich sah schon Polizisten an Banken vorbei schlendern, während über dem Eingang die Alarmanlage schrillte.
  7. Das Schweizer Taschenmesser in groß. Für das Brotschneiden, Bierflaschenöffnen, Korkenziehen, Büchsenknacken, für die Maniküre und die Fahrradreparatur.
  8. Das Wichtigste: der 0,5 l Thermobecher mit Teesieb. Ohne den gehe ich nirgends hin, denn ich bin kein Mensch, wenn ich morgens keinen ordentlichen Tee bekomme. Der Becher ist unkaputtbar und man kann selbst im Bett aus seiner kleinen Öffnung im Deckel trinken. Nachteil: Man muss bei der Flughafenkontrolle immer seine Tasche leeren, um zu zeigen, dass man in dem Becher wirklich nur eine Tüte losen Tees gestopft hat und keine Unze Marihuana.

Donnerstag, 2. September 2010

Prekäres Wohnen in Dublin

Zimmer in einem Dubliner B&B
Seit ich 2002 in die Welt hinaus zog (um eine Mann zu werden oder so), hatte ich immer wieder äußerst interessante Unterkünfte - mehr oder weniger temporär. In Providence, USA schlief ich erst auf dem Boden des German Institutes der Brown University.

Danach zog ich in ein Zimmer bei einem Freund einer Freundin. Der hatte einen Hund und eigentlich war das alles OK, nur dass ich kein WG-Mensch bin und bald wieder auszog. Anschließend zog ich zu einem Ärzte-Ehepaar, deren Kinder alle auf Boarding Schools waren und deren riesiges Haus in der Morris Avenue daher fast leer stand. Nur Katzen und Papageien schrien den ganzen Tag über, während ich Klassenarbeiten korrigierte. Auch irgendwie bizarr.

In Berlin lebte ich einmal in der Christburger Straße in einer Einraum-Wohnung. Das Klo musste ich mir mit jemandem teilen und irgendwann bekam ich psychische Probleme, weil mich das alles so deprimierte.

In Dublin schlief ich zuerst mit 5 Bauarbeitern in einem Hostel. Ich machte kein Auge zu, es stank, quietschte, rülpste und pupste. Dann wohnte ich illegal mit drei anderen Gestalten in einem alten Bordell. Diese WG ging in die Brüche, weil die Hälfte der Leute (oh Wunder) kriminell war, Geld stahl und sich um Drogen kloppte. Außerdem waren uns die Vermieter auf den Fersen, denn ich zahlte zwar pro Monat 500 €, das Geld kam aber nie an. Dann lebte ich mit einem Kollegen in einer zu kleinen Wohnung bis ich meine Freundin kennen lernte. Wir zogen über Umwege dann endlich in ein schönes Haus. Im Frühsommer diesen Jahres verließen wir das Haus wieder, um durch Europa zu reisen.

Nun bin ich alleine noch einmal zurückgekehrt (wer weiß, wie lange) und suche nach einem Apartment, das halbwegs erschwinglich ist und keinen langfristigen Mietvertrag erfordert. Gute Apartments gehen bei 250 € pro Woche (!) los. Wenn man keinen Wert auf gute Standards und gute Lage legt, dann kann man auch was für 150 € pro Woche haben. Das ist eher mein Budget und bis ich das gefunden habe, tingle ich zwischen einer Pension (150 € pro Woche), dem Haus eines Freundes (0 €) und einem Hotel (50 € pro Nacht) hin und her.

Mein Zimmer in der Pension Blackstone House ist deprimierend: 10 m², alte Gardinen, eine Tür, die nicht richtig schließt, ein Mini-Kühlschrank, den ich nachts ausschalten muss, weil er zu laut zum Schlafen ist. Meine Kleider hängen mitten im Raum auf Bügeln von der Decke. Einrichtungsgegenstände (Lampen, Spiegel, Stuhl, Bett, Kleiderständer - kein Schrank) sind aus Restbeständen zusammengewürfelt. Natürlich ist es nachts laut und hell, wegen der Hauptstraße vor der Tür. Das Klo mit Duschzelle wurde offenbar später angefügt und durch eine Pappwand abgetrennt. Wenn ich abends nach Hause komme, muss ich immer an eine Zelle denken. Wenigstens habe ich ein Dach über dem Kopf. Halbwegs sauber ist es auch und die Leute sind freundlich. Die Gegend, Rathmines, ist auch ganz ok. Es gibt tausend Geschäfte, Wäschereien und Restaurants, es gibt inzwischen sogar ein Kino im Shoppingcenter. Zusmmengefasst: Es könnte schlimmer sein. Die Tränen kamen mir trotzdem während der ersten zwei Tage.

Montag, 25. Mai 2009

Gut bewertete Hotels in Dublin


Größere Kartenansicht

In der Karte finden sich zum Beispiel:

  • Hotel Merrion Ltd‎ Mit 4,3 von insgesamt 5,0 bewertet 212 Beurteilungen
  • The Westbury Hotel‎ Mit 4,2 von insgesamt 5,0 bewertet 183 Beurteilungen
  • The Fitzwilliam Hotel‎ Mit 4,1 von insgesamt 5,0 bewertet 244 Beurteilungen
  • Brooks Hotel‎ Mit 4,4 von insgesamt 5,0 bewertet 377 Beurteilungen
  • Academy Hotel‎ Mit 4,1 von insgesamt 5,0 bewertet 377 Beurteilungen
  • Dylan Hotel Dublin‎ Mit 4,5 von insgesamt 5,0 bewertet 273 Beurteilungen
  • The Croke Park Hotel (Formerly Jurys Croke Park Hotel)‎ Mit 4,4 von insgesamt 5,0 bewertet 199 Beurteilungen
  • The Shelbourne Hotel, Dublin‎ Mit 4,3 von insgesamt 5,0 bewertet 223 Beurteilungen
  • Hotel Radisson SAS Royal Dublin‎ Mit 4,4 von insgesamt 5,0 bewertet 78 Beurteilungen
  • Four Seasons Hotel, Dublin‎ Mit 4,7 von insgesamt 5,0 bewertet 115 Beurteilungen
  • Buswells Hotel‎ Mit 4,1 von insgesamt 5,0 bewertet 88 Beurteilungen
  • Maldron Hotel Formally Comfort Inn‎ Mit 4,1 von insgesamt 5,0 bewertet 436 Beurteilungen
  • Eliza Lodge Hotel Dublin‎ Mit 4,1 von insgesamt 5,0 bewertet 130 Beurteilungen
  • Temple Bar Hotel‎ Mit 4,1 von insgesamt 5,0 bewertet 69 Beurteilungen
  • Ariel House Hotel‎ Mit 4,0 von insgesamt 5,0 bewertet 104 Beurteilungen
  • Maldron Hotel Smithfield‎ Mit 4,1 von insgesamt 5,0 bewertet 177 Beurteilungen
  • School House Hotel‎ Mit 4,1 von insgesamt 5,0 bewertet 109 Beurteilungen
  • Hotel Hilton Dublin Kilmainham‎ Mit 4,1 von insgesamt 5,0 bewertet 100 Beurteilungen
  • Butlers Townhouse Hotel‎ Mit 4,2 von insgesamt 5,0 bewertet 107 Beurteilungen

Donnerstag, 28. August 2008

Dublin, Mai 2005 II

Di. 10.05. Entgegen meiner ursprünglichen Absicht gleich nochmal in die Nationalgalerie zu gehen, habe ich den ganzen Tag im Park (Marrion Square neben der Galerie) rumgehangen. Vor allem, weil das Wetter so schön war, außerdem weil ich immer noch einen Anruf erwarte und in der Galerie Telefone nicht erwünscht sind und drittens, weil ich mich wieder in den Corrections festgelesen habe. Dieses Buch spiegelt so deutlich wieder, was mich in den USA manchmal so genervt hat: der spießig-zwanghafte Umgang vieler Menschen untereinander. Das wird in den Corrections vor allem in Enid, der Mutter der portraitierten Familie, figuriert. Sie versucht das Leben aller anderen Menschen um sich herum zu lenken, zu managen. Wenn ihr das nicht gelingt, dann sind ihr andere Menschen peinlich. Individualität, Unangepasstheit und Spontanität sind ihr ein Greuel. Sie glaubt, für alles Verantwortung übernehmen zu müssen und kann damit selbst natürlich nicht glücklich werden.

Alle anderen durchkreuzen immer wieder ihre Pläne, beharren auf ihrer Individualität und stören so Enids vermeintlich wohlgeordnete Welt. Ihr Compagnion ist ihr ältester Sohn Garry (erfolgreich, verheiratet, drei Söhne), ihre Gegenspieler sind ihr Mann Alfred (senil, inkontinent, dickköpfig), die Tochter Denise (geschieden, bisexuell, talentiert mit instabiler Karriere) und der Sohn Chip (intellektuell, Exproffessor - gefeuert wegen sexueller Beziehung zu einer Studentin - und zeitweise illegaler Entrepreneur in Vilnius). Enids einziger Wunsch ist es, die ganze Familie zu einem letzten Weihnachtsfest in ihrem Haus zusammenzubringen. Zwischendurch wird sie abhängig von Psychopharmaka, Alfred fällt während einer Kreuzfahrt 8 Stockwerke tief vor Kanada in den Nordatlantik, Garry bekommt von seiner Frau eine kräftige Depression verschrieben, Denise schläft erst mit der Frau ihres Chefs und dann mit ihm selber (alles kommt raus, sie wird gefeuert und verlassen) und Chip geht in den poltischen Wirren in Vilnius verloren. Es ist alles sehr schön unwahrscheinlich und doch beschreibt es ganz passend einen Snapshot unserer Welt und zeigt dabei, was in privaten (sogar neurologischen) und globalen Zusammenhängen so alles außer Kontrolle gerät. Am Ende des Buches gelingt es Franzen erstaunlich gut aus der Perspektive erster Hand einen Zustand zu beschreiben, zu dem er mit Sicherheit keinen Zugang hat: Demenz, Verwirrtheit, das Auseinanderbrechen der kohärenten Welt für das Individuum.

Nachdem ich akzeptiert hatte, dass mich auch heute niemand von Google anrufen würde, habe ich mich noch auf fünf andere (weniger schöne) Jobs beworben und bin vom teuren Parnell Square (50,- pro Nacht) in die billige Marlborough Street (15,-) umgezogen. In diesem Hostel mitten in der Stadt wohnen vor allem Leute, die vorrübergehend in Dublin arbeiten. Sie zahlen eine wöchentliche Rate von 85 Euro und schlafen in 6-Bett-Zimmern in Dublin City. Man gewöhnt sich daran, glaube ich, so wie man sich auch an ein Gefängnis gewöhnen würde. Dumm ist nur, dass niemand vernünftig Englisch spricht. Ich glaube, bis ich Bescheid weiß, werde ich auch erst einmal hier bleiben. Gegen 20 Uhr bin ich dann in einen Pub auf der O'Connell Street gegangen und habe zusammen mit zwei Guinness Manchaster United gegen Chelsea gesehen. Leider hat ein Japaner, der neben mir saß, ständig alle Spielernamen auf Japanisch aufgesagt und immer hysterisch gequiekt, wenn es eine Torchance gab. Und leider hat Man U 1:3 verloren. Aber es war, wie immer, wenn britische Mannschaften gegeneinander spielen, ein sehr schönes, schnelles und aggressives Spiel.

Mi. 11.05. Als ich mit Schmerzen aus den Knochen und Lärm aus der Straße erwachte, wunderte ich mich etwas: Wie kommt es, dass ich in der Marlborough Street in einem 15-Euro-Bett auf drückenden Metallfedern liege und fünf andere Menschen liegen auch im Zimmer? Ich kenne die Menschen kaum und alles kommt mir so endlos und unentwirrbar vor: diese sechs Leben, die von diesem historisch-geographischen Punkt aus strahlenförmig in Zukunft und Vergangenheit reichen und einfach irgendwo aufhören. Das Wetter war erst schön und bald typisch irisch. Solange die Sonne schien, hing ich etwas auf dem Campus rum, las in den Corrections und fühlte mich wohl, so zu tun, als sei ich ein Student. Der unablässige Ostwind vertrieb mich dann erst ins Museum für Naturgeschichte. Da kann man auch nicht viel mehr lernen als in der Berliner Veteranenstraße, außer vielleicht, dass Irland riesig große Fische hat oder hatte. Besonders beeindruckend waren der Riesenhai und der im Durchmesser zwei Meter große Mondfisch (hier: Sunfish), der in einem irischen See gefangen worden sein soll. Unglaublich war auch das Exponat eines Irischen Wolfshundes: so groß wie ein ausgewachsener Löwe und sehr schön proportioniert. Ein beeindruckendes Tier, dem man sicher nicht zufällig in der Landschaft begegnen möchte. Der Impuls wegzurennen wäre zu übermächtig, fürchte ich - und lebensgefährlich.

Anschließend war ich im National Museum für Geschichte. Leider war es mit Schulkindern überfüllt, die sich die von Äxten gespaltenen Schädel ihrer Vorfahren ansahen. Äxte, so konnte man lernen, waren die Lieblingswaffen der Iren. Sie mussten nicht, wie die Schwerter der hohen englischen Ritter, erst ausgepackt werden, sondern konnten - weil immer mitgeführt - bei jeder Meinungsverschiedenheit sofort böse Wunden zufügen. Sobald jedoch Schusswaffen entwickelt wurden, war es aus mit der mittelalterlichen Kampfkunst. Äxte, Schwerter, Schilde, Rüstung oder schnelle Pferde - alles sinnlos gegen Kugeln. Interessant sind die Ogham Scripte (4. - 6. Jh.): wagerechte Schnitzer in Stein oder Holz, die nach einem Schlüssel decodiert in lateinische Buchstaben übersetzt werden konnten. Gleich nebenan ist die Nationalbibliothek, die zur Zeit eine Ulyssess Ausstellung zeigt. Die kombiniert ganz wundervoll konventionelle Exponate (Erstausgaben, Joyce-Manuskripte, Einrichtungsgegenstände, Photos, Karten) mit 3D-Multimedia-Anwendungen und Video-Projektionen. Wenn ich weiterhin Zeit haben sollte, muss ich unbedingt noch einmal hin.

Heute Nachmittag gab es gute Nachrichten von Jean Ryan Hakizimana, ein Freund aus Ruanda, den ich in Limerick kennengelernt habe. Er hat seinen Emigrantenstatus offiziell zugeschrieben bekommen und kann nun auch Geld in Irland verdienen. Jean ist bereits ein wenig prominent in Irland, weil er der erste Künstler ist, der den Völkermord in Ruanda überlebt hat und hier in Irland seine Bilder malt. Ich habe ihm eine Webseite (www.jeanart.org) gebastelt und er hat mir dafür eines seiner afrikanischen Bilder (Flamingo) geschenkt. Wenn man seine Geschichte hört (seine gesamte Familie wurde in Ruanda getötet, er selbst war Jahre lang eingesperrt), weiß man, dass man als Mitteleuropäer eigentlich gar keine wahren Probleme hat. Abends war ich wieder im Pub und habe Arsenal gegen Everton gesehen - 7:0 - ein unglaublich hoher Sieg des Tabellenzweiten über den Vierten.

Do. 12.05. In der letzten Nacht konnte ich wieder kaum schlafen. Ein Mädchen im Zimmer hustete immerzu, ein Mann schnarchte die ganze Zeit, es war zu warm, zu hell, ich hatte keinen Platz, die Matratzenfedern piekten immer noch. Ich hatte Nacken- und Schulterschmerzen. Gestern dachte ich noch, es lag an mir, manchmal schläft man eben nicht gut. Gegen 4:30 Uhr (ich schaute dauernd auf die Uhr) schlief ich dann doch ein und gegen 8 waren die Schmerzen verschwunden. Trotzdem war jetzt klar, dass es Zeit wurde, diesen scheiß Ort zu verlassen. Ich suchte mir gleich ein anderes Hostel in der Nähe. Es macht einen besseren Eindruck, auch wenn unmittelbar nach meinem Erscheinen (vor ca 40 Minuten) der Feuerarlarm des Hauses ausgelöst wurde. Der arme Rezeptionist ist total aufgelöst, rennt im Haus rum und findet das Problem nicht. Ich werde jetzt mal ins Internetcafé gehen und einen Flug buchen, das scheint hier noch zu dauern.

Gerade als ich das Haus verlassen wollte, hörte der Arlarm auf. Der Rezeptionist kam überglücklich zu mir gerannt und meinte, ich sollte mir ansehen, woran es gelegen hatte, ich würde es nicht glauben. Ich hatte die ganze Zeit dunkel geahnt, dass der Arlarm etwas mit mir zu tun haben musste. Der Rezeptionist zeigte mir, wie der Schlüssel, den er für mich gesucht hatte, vom Haken gerutscht war und auf den Panikknopf gefallen war. Der Panikknopf war hinter einem Schränkchen versteckt und nur durch gezieltes Schlüsselwerfen erreichbar (sehr irisch!). Der Rezeptionist hatte diesen Knopf jedenfalls noch nie gesehen, hatte nicht einmal eine Ahnung von seiner Existenz gehabt. Wir beide lachten erleichtert und rieben uns minutenlang die Ohren. Im Internetcafé gelang es mir dann für Samstag einen Flug zu buchen und eine letzte Dringlichkeitsmail an Google abzusetzen. (Mir wurde daraufhin salomonisch versichert, dass ich sofort Bescheid bekäme, wenn eine Entscheidung fallen würde.)

Den Rest des Tages verbrachte ich umherstreifend in Cafés, Parks und Pubs. Ich las "Dubliners" von James Joyce (Alfred aus den "Corrections" war inzwischen tot, die Familie um einiges glücklicher hinterlassend, den Leser angemessen ratlos aus der Geschichte entlassend). In den Straßen südlich vom Liffey rieben sich die Touristen aneinander. Ein paar Dutzend Cluster junger Iren versuchten Spenden für wohltätige Zwecke einzutreiben. Frühlingshaft kostümierte Frauen schleppten biwakgroße Papiertüten im Zickzack (von Brown Thomas zu Clarks und zurück zu Pennys) durch die Grafton Street. Pantomime trotzen dem vitalen Strom des Konsums und Musiker aus allen Erdteilen kakophonierten zum Verkehrslärm. Das ist nur die Vorsaison, dachte ich. Im Sommer wird man wohl gar nicht mehr in die Innenstadt kommen. Ich muss mir, sollte ich hier leben müssen/können, eine kleine Vorstadt am besten in Meeresnähe suchen. Ich flüchtete in den nächsten Park. Doch auch der St. Stephen's Green am Fuß der Grafton Street war ziemlich voll. Die etwas abseits gelegenen Parks sind nur zur Lunchzeit bevölkert, wenn das arbeitende Volk seine Sandwiches in der Sonne isst.

Mittwoch, 27. August 2008

Mai 2005 I

Es war kein ganz gutes Gefühl, als ich plötzlich allein in dieser fremden Stadt war. Jette hat mich gestern nach Dublin begleitet, wir haben das Hostel gesucht, waren - völlig übermüdet - noch was trinken und haben dann jeder in seinem Dorm geschlafen. Morgens nach dem Frühstück sind wir durch Dublin gelaufen, waren essen, shoppen und trinken. In einem Pub haben wir Charlton gegen Manchester United (0:4) gesehen. Unglaublich gute Fußballspiele kann man hier sehen. Am frühen Abend brachte ich Jette zum Bus und stand plötzlich alleine auf der Straße. Ich bin dann in ein Internetcafé getrottet, habe nach freien Zimmern gesucht und meinen Eltern eine SMS geschickt (bin in Dublin, auf Zimmersuche, etwas einsam). Meine Mutter rief dann noch an und wir haben eine ganze Weile geredet. Das war schön, hat die Einsamkeit etwas gelindert.

Später habe ich dann ein die Nummer eines Zimmerangebotes angerufen. Es klang alles sehr hoffnungsvoll (unter 400 Euro, Innenstadtlage), ich bin gleich hingelaufen. Das Zimmer sah schlimm aus: ein Bett, ein mit einer Decke zugehangenes Fenster, gewellte Tapeten. Dann wurde ich ins Bad geführt. Das war im Keller und so niedrig, dass ich nicht aufrecht stehen konnte. Die Küche sah verwüstet aus und roch krank, im Wohnzimmer saßen gammlige Studenten rum. Dann musste ich mich in eine Liste eintragen: Name, Alter, Tätigkeit. Beim Alter log ich mich 4 Jahre runter, weil der älteste Bewerber 26 Jahre alt war. Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, dass ich das Zimmer wollte. Inzwischen denke ich aber, ich sollte lieber etwas ausserhalb suchen (Drumcondra oder Clontarf hat Jessica vorgeschlagen).

Als es dunkel wurde, habe ich bei einem Libanesen Fladenbrot und Auberginenmus gekauft, mich in die Hostel-Küche gesetzt und die Eggplant-Wraps gegessen. In der Küche saß das Hostelpersonal, das hier vor allem aus Spaniern oder Lateinamerikanern zu bestehen scheint. Eine Gruppe von 13 Spanisch sprechenden Menschen kann sich offenbar nur laut lamentierend und vor allem synchron verständigen. Es war unglaublich. Im Kontrast zu dieser übertrieben anmutenden Geselligkeit wurde meine Einsamkeit wieder deutlich spürbar. In diesem Moment hasste ich die Leute, die da so ungehemmt und laut ihre Lebensfreude zelebrierten. Ich fühlte mich schön deutsch, mit dem Nietzsche-Buch vor mir auf dem Tisch. Was ich da las waren dann nur Buchstaben, kaum Worte, geschweige denn Sätze oder gar Gedanken. Natürlich wusste ich, dass alle Mitglieder dieser anstrengenden Gruppe auch wieder einsame kleine Würstchen sind, mit Minderwertigkeitsgefühlen, Wut, Angst, Trauer - Einsamkeit. Irgendwie war ich froh darüber.

Mo. 2.05. Als ich heute früh so durch die Straßen lief, am Liffey mein trockenes Brot in Philadelphia dippte, fühlte ich mich obdachlos: ich suche den ganzen Tag nach Gelegenheiten, esse auf der Straße und schlafe in einem Zimmer mit sieben anderen Männern. Ein Schlafplatz in einem eisernen Doppelstockbett, in dem du jede Bewegung des Menschen über dir spürst, wo du jeden Furz hörst, kostet 20 Euro - das unterscheidet mich dann von einem wirklichen Obdachlosen. Das und dass ich genug Geld habe, meinen Pint im Pub zu trinken, meine Visakarte, um mir Schuhe und was zu essen zu holen. Ich brauch noch Schuhe für mein Vorstellungsgespräch am Mittwoch. Meine Wildlederschuhe wurden am Samstag beim Barbeque mit Fett bekleckert.

In Dublin gibt es sehr viele arme Menschen. Am Tag hängen sie am Liffey rum, schmeißen ihre leeren Flaschen in den Fluss und die Iren unter ihnen quatschen die Touristen voll. Wo sie nachts sind, weiß ich nicht, habe aber auch welche auf den Bänken am Liffey schlafen sehen. Manche kommen auch abends ins Hostel und setzen sich in die Lobby. Heute sah ich einen Mann mit Drei-Tage-Bart in einem schönen schwarzen Anzug in einem Hauseingang kauern und aus einer Bierbüchse trinken. Man, ich habe noch nicht einmal einen Anzug! Da kriegt man schon mal einen Schreck. Gestern sah mich einen Mann, der auf der Straße komisch rumhüpfte und tippelte. Als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass er sich in bestimmten Mustern nur entlang der Linien auf der Straße bewegte, aber es vermied, die Linien zu betreten. Bisher dachte ich, dass es sowas nur bei Rain Man im Kino gibt.

Mo. 9.05. Inzwischen lebe ich in einem Hotel am Parnell Square. Die Leute hier haben mich irgendwie lieb gewonnen, geben mir Sonderkonditionen, achten darauf, dass ich Frühstück bekomme und waschen meine Wäsche. Trotzdem hoffe ich, dass ich hier nicht mehr lange wohnen muss und dass Google sich bald meldet. Nach zahlreichen Telefoninterviews hatte ich am letzten Mittwoch endlich mein Vorstellungsgespräch. Es lief auch wirklich sehr gut und ich war hinterher sehr aufgedreht und optimistisch. Der Personalmanager meinte, dass eine Entscheidung schnell getroffen werden könne, er wolle mich nur noch einem Kollegen aus einer anderen Abteilung vorstellen, der eine Position zu besetzen hätte, für die ich auch infrage käme. Inzwischen sind ein paar Tage vergangen, ohne dass sich jemand gemeldet hätte. Ich bin immer noch sehr aufgeregt und werde zunehmend ungeduldiger. Irgendwann möchte ich auch noch mal einen Flug nach Deutschland buchen. Gerade wenn Google mich einstellen sollte, will ich noch mal nach Hause. Es kann auch sein, dass ich nach dem letzten Interview, aber vor einer Entscheidung fliege. Und es kann sein, dass sie mich nicht einstellen. Was ich dann am klügsten mache, weiß ich auch noch nicht.


Übers Wochenende habe ich mit meiner Mutter eine Tour durch den Norden Irlands gemacht. Wir haben uns ein Auto gemietet und sind von Dublin aus durch Nordirland nach Letterkenny, Donegal, Sligo, Ballina, Westport und schließlich nach Galway gefahren. Es war sehr angenehm, mal aus dem Dreck der Stadt heraus zu kommen. Dublin ist unglaublich laut und schmutzig, was vor allem an den vielen Bussen in der Stadt liegt. Fesinstaub und Rußfilter interessieren hier keinen. Alles boomt, bloomt und brummt und da müssen Opfer in Kauf genommen werden. Ich habe mich lange gefragt, wie es funktioniert, dass alle Fußgänger bei rot über die Straße gehen. Am Mittwoch habe ich gesehen, dass es nicht funtioniert: mit einem lauten Knall wurde eine Frau von einem Motorrad erfasst, dass zwischen den sich stauenden Autos entlangschoss. Überhaupt ist Dublin sehr voll und hektisch, besonders am Wochenende. Shoppen, essen und trinken - das ist das Ziel der Dubliner Wochenendtouristen (diese Woche u.a.: ein Tross Fußballer-Ehefrauen von Chelsea und Man U). Jedenfalls war es im Norden (Galway ausgenommen) sehr ruhig, erholsam und frisch.

Als ich dann heute wieder allein in Dublin war, habe ich viel gelesen: The Corrections von Jonathan Franzen. Dazu war ich schon lange nicht mehr gekommen. Nun bin ich aber bald durch und finde es schade. Ich überlege, ob ich passenderweise "Ulysses" von James Joyce lesen sollte. Nicht nur, weil ich in Dublin bin, auch, weil mein Umherwandeln in Dublin manchmal einer Odyssee ähnelt. Während meines mehr oder weniger zielgerichteten Umherstreifens warte ich den ganzen Tag darauf, dass mein Handy klingelt: blöder Zustand. Im Internetcafé gab es auch nicht viel neues für mich. Am Nachmittag habe ich mir das Trinity College (mehr Touristen als Studenten) angesehen und bin anschließend zur Nationalgalerie gelaufen. Es ist wunderbar dort, der Eintritt ist frei und morgen werde ich noch einmal hingehen. Ich konnte natürlich lange nicht alles ansehen. Morgen gibt es auch wieder ein hochkarätiges Fußballspiel. Das ist Grund genug, sich in einen Pub zu setzen und ein paar kalte Guinness zu trinken. Das ist nach wie vor das Schönste in Irland.