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Im Mai 2011 bin ich nach 6 Jahren in Irland zurück nach Deutschland gezogen und habe diesen Blog eingestellt. Mein neuer Blog heißt Geist und Gegenwart und ist unter www.geistundgegenwart.de zu erreichen.

Montag, 1. September 2008

Der Reiher, der Wind, die Pferde, der Regen


Wenn ich morgens aufstehe und auf dem Balkon meine Hände in den stillen blauen Himmel strecke, sehe ich nach rechts über die Pferde hinweg zum Dorf, wo der Bus hält. Weiter links ist bis zum Golfplatz, auf dem Tiger Woods und Tom Lehmann beim morgendlichen Üben nur als zwei kleine Punkte erkennbar sind, nur die Heide. Die Luft riecht nach nassem Gras und Meer. Ich höre Krähen, Möwen und in der Ferne rauscht der erste Zug von Malahide nach Dublin.

Am Wochenende fahre ich mit dem Rad am Strand lang ins nächste Dorf, um dort meine Nahrungsmittel für die kommende Woche zu kaufen. Der Wind bläst mich über den glatten harten Sand, die Muscheln knacken unter meinen Rädern, die kleinen Rippel vibrieren bis ins Hirn und kurz vor Malahide muss ich einem gestrandeten Hai ausweichen. Möwen fliegen schreiend auf und ein Hund bleibt stehen, sieht verdutzt zu, wie ich an ihm vorbeizische.

Während ich in der Stadt viel über Menschen als Masse gelernt habe, lerne ich hier ganz andere Dinge. Zum Beispiel. Der typische Tagesablauf der Pferde vor meinem Fenster: Dösen, kauen, wälzen, stehen, gehen, treten, beißen manchmal. Oder. Eine totgefahrene Ratte auf der Landstraße von Portmarnock nach Dublin braucht keine zwei Wochen, um sich in eine saubere, perfekt schwarze Lederplatte zu verwandeln. Und. Reiher schlucken ganze Schlangen, sind ansonsten aber eher vorsichtig und scheu. Nacktschnecken sind Allesfresser. Über Menschen. Iren auf dem Dorf lieben es, Dinge zu verbrennen: Holz im Garten, Müll im Vogelschutzgebiet, Autos auf dem Feld, Motorräder am Strand.

Wenn ich arbeite und stoppe, damit mein Blick mit dem Wind über das Feld zieht, denke ich, dass ich nur noch mache, was einfach ist. Ich drehe mir einen Filter aus der Zeitschriftensubskriptionspostkarte und finde es schwer zu arbeiten. Ich glaube, Pferde wissen, wie schwer das Leben sein kann. Deshalb stehen sie einfach rum und passen auf, dass der Abstand zum nächsten Pferd nicht zu gering ist. Heute Abend spielt Deutschland gegen Irland und ich werde mit einem Guinness und einem Whiskey im Local Pub sitzen. Vielleicht kommt mein Freund Hugh, den hatte ich bei Portugal gegen Deutschland kennengelernt.

Hugh ist Schotte, war früher Drucker und ist jetzt Rentner. Er hat immer einen 80er-Jahre-Blouson an mit Vespa-Aufnäher und Skinhead-Insignien drauf. Hugh meint, er brauche nicht viel: den Pub, den Whiskey und ein Bett, wo er den Kopf rauflegen könne. Der Pub sei wichtig, weil hier die Leute zu ihm kommen und mit ihm reden. Wenn die Leute mit dir reden, weißt du, dass sie dich akzeptiert haben. Was das heißt, »akzeptiert haben«, frage ich nicht. Als Schotte fühle er sich immer noch etwas fremd. »Where are you from, son?« Aus Deutschland, sage ich mit einem Nicken in Richtung Fernseher. Daraufhin lobt er die deutschen Fußballer, die fast so gut seien wie Celtic früher, und erzählte mir eine Geschichte von einem Deutschen, der hier gelebt hat und den alle nur Hitler nannten. Hughs Akzent war schwer zu verstehen und ich habe nur begriffen, dass dieser Hitler irgendwie ein unglücklicher Mensch war. Der Pub im Dorf sei the place to be, außer fürs chasing, skirt chasing, dem Schürzen-Jagen. Da sei hier nicht viel los, nur Grannies, Großmütter. Das hält Hugh aber nicht davon ab, allen Vierzig- oder Fünfzigjährigen, die an seinem Tisch vorbeikommen, irgendwelche Einladungen oder Zweideutigkeiten hinterher zu rufen. Die so Angesprochenen kichern meistens oder geben ironische Kommentare zurück, eine zwinkert mir zu. Hugh strahlt über das ganze Gesicht. Vielleicht stimmt es und man muss gar nicht so ein Gewese um alles machen. Vielleicht braucht man wirklich nur ein Bett und ein wenig hiervon und davon.

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