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Im Mai 2011 bin ich nach 6 Jahren in Irland zurück nach Deutschland gezogen und habe diesen Blog eingestellt. Mein neuer Blog heißt Geist und Gegenwart und ist unter www.geistundgegenwart.de zu erreichen.

Mittwoch, 27. August 2008

Mai 2005 I

Es war kein ganz gutes Gefühl, als ich plötzlich allein in dieser fremden Stadt war. Jette hat mich gestern nach Dublin begleitet, wir haben das Hostel gesucht, waren - völlig übermüdet - noch was trinken und haben dann jeder in seinem Dorm geschlafen. Morgens nach dem Frühstück sind wir durch Dublin gelaufen, waren essen, shoppen und trinken. In einem Pub haben wir Charlton gegen Manchester United (0:4) gesehen. Unglaublich gute Fußballspiele kann man hier sehen. Am frühen Abend brachte ich Jette zum Bus und stand plötzlich alleine auf der Straße. Ich bin dann in ein Internetcafé getrottet, habe nach freien Zimmern gesucht und meinen Eltern eine SMS geschickt (bin in Dublin, auf Zimmersuche, etwas einsam). Meine Mutter rief dann noch an und wir haben eine ganze Weile geredet. Das war schön, hat die Einsamkeit etwas gelindert.

Später habe ich dann ein die Nummer eines Zimmerangebotes angerufen. Es klang alles sehr hoffnungsvoll (unter 400 Euro, Innenstadtlage), ich bin gleich hingelaufen. Das Zimmer sah schlimm aus: ein Bett, ein mit einer Decke zugehangenes Fenster, gewellte Tapeten. Dann wurde ich ins Bad geführt. Das war im Keller und so niedrig, dass ich nicht aufrecht stehen konnte. Die Küche sah verwüstet aus und roch krank, im Wohnzimmer saßen gammlige Studenten rum. Dann musste ich mich in eine Liste eintragen: Name, Alter, Tätigkeit. Beim Alter log ich mich 4 Jahre runter, weil der älteste Bewerber 26 Jahre alt war. Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, dass ich das Zimmer wollte. Inzwischen denke ich aber, ich sollte lieber etwas ausserhalb suchen (Drumcondra oder Clontarf hat Jessica vorgeschlagen).

Als es dunkel wurde, habe ich bei einem Libanesen Fladenbrot und Auberginenmus gekauft, mich in die Hostel-Küche gesetzt und die Eggplant-Wraps gegessen. In der Küche saß das Hostelpersonal, das hier vor allem aus Spaniern oder Lateinamerikanern zu bestehen scheint. Eine Gruppe von 13 Spanisch sprechenden Menschen kann sich offenbar nur laut lamentierend und vor allem synchron verständigen. Es war unglaublich. Im Kontrast zu dieser übertrieben anmutenden Geselligkeit wurde meine Einsamkeit wieder deutlich spürbar. In diesem Moment hasste ich die Leute, die da so ungehemmt und laut ihre Lebensfreude zelebrierten. Ich fühlte mich schön deutsch, mit dem Nietzsche-Buch vor mir auf dem Tisch. Was ich da las waren dann nur Buchstaben, kaum Worte, geschweige denn Sätze oder gar Gedanken. Natürlich wusste ich, dass alle Mitglieder dieser anstrengenden Gruppe auch wieder einsame kleine Würstchen sind, mit Minderwertigkeitsgefühlen, Wut, Angst, Trauer - Einsamkeit. Irgendwie war ich froh darüber.

Mo. 2.05. Als ich heute früh so durch die Straßen lief, am Liffey mein trockenes Brot in Philadelphia dippte, fühlte ich mich obdachlos: ich suche den ganzen Tag nach Gelegenheiten, esse auf der Straße und schlafe in einem Zimmer mit sieben anderen Männern. Ein Schlafplatz in einem eisernen Doppelstockbett, in dem du jede Bewegung des Menschen über dir spürst, wo du jeden Furz hörst, kostet 20 Euro - das unterscheidet mich dann von einem wirklichen Obdachlosen. Das und dass ich genug Geld habe, meinen Pint im Pub zu trinken, meine Visakarte, um mir Schuhe und was zu essen zu holen. Ich brauch noch Schuhe für mein Vorstellungsgespräch am Mittwoch. Meine Wildlederschuhe wurden am Samstag beim Barbeque mit Fett bekleckert.

In Dublin gibt es sehr viele arme Menschen. Am Tag hängen sie am Liffey rum, schmeißen ihre leeren Flaschen in den Fluss und die Iren unter ihnen quatschen die Touristen voll. Wo sie nachts sind, weiß ich nicht, habe aber auch welche auf den Bänken am Liffey schlafen sehen. Manche kommen auch abends ins Hostel und setzen sich in die Lobby. Heute sah ich einen Mann mit Drei-Tage-Bart in einem schönen schwarzen Anzug in einem Hauseingang kauern und aus einer Bierbüchse trinken. Man, ich habe noch nicht einmal einen Anzug! Da kriegt man schon mal einen Schreck. Gestern sah mich einen Mann, der auf der Straße komisch rumhüpfte und tippelte. Als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass er sich in bestimmten Mustern nur entlang der Linien auf der Straße bewegte, aber es vermied, die Linien zu betreten. Bisher dachte ich, dass es sowas nur bei Rain Man im Kino gibt.

Mo. 9.05. Inzwischen lebe ich in einem Hotel am Parnell Square. Die Leute hier haben mich irgendwie lieb gewonnen, geben mir Sonderkonditionen, achten darauf, dass ich Frühstück bekomme und waschen meine Wäsche. Trotzdem hoffe ich, dass ich hier nicht mehr lange wohnen muss und dass Google sich bald meldet. Nach zahlreichen Telefoninterviews hatte ich am letzten Mittwoch endlich mein Vorstellungsgespräch. Es lief auch wirklich sehr gut und ich war hinterher sehr aufgedreht und optimistisch. Der Personalmanager meinte, dass eine Entscheidung schnell getroffen werden könne, er wolle mich nur noch einem Kollegen aus einer anderen Abteilung vorstellen, der eine Position zu besetzen hätte, für die ich auch infrage käme. Inzwischen sind ein paar Tage vergangen, ohne dass sich jemand gemeldet hätte. Ich bin immer noch sehr aufgeregt und werde zunehmend ungeduldiger. Irgendwann möchte ich auch noch mal einen Flug nach Deutschland buchen. Gerade wenn Google mich einstellen sollte, will ich noch mal nach Hause. Es kann auch sein, dass ich nach dem letzten Interview, aber vor einer Entscheidung fliege. Und es kann sein, dass sie mich nicht einstellen. Was ich dann am klügsten mache, weiß ich auch noch nicht.


Übers Wochenende habe ich mit meiner Mutter eine Tour durch den Norden Irlands gemacht. Wir haben uns ein Auto gemietet und sind von Dublin aus durch Nordirland nach Letterkenny, Donegal, Sligo, Ballina, Westport und schließlich nach Galway gefahren. Es war sehr angenehm, mal aus dem Dreck der Stadt heraus zu kommen. Dublin ist unglaublich laut und schmutzig, was vor allem an den vielen Bussen in der Stadt liegt. Fesinstaub und Rußfilter interessieren hier keinen. Alles boomt, bloomt und brummt und da müssen Opfer in Kauf genommen werden. Ich habe mich lange gefragt, wie es funktioniert, dass alle Fußgänger bei rot über die Straße gehen. Am Mittwoch habe ich gesehen, dass es nicht funtioniert: mit einem lauten Knall wurde eine Frau von einem Motorrad erfasst, dass zwischen den sich stauenden Autos entlangschoss. Überhaupt ist Dublin sehr voll und hektisch, besonders am Wochenende. Shoppen, essen und trinken - das ist das Ziel der Dubliner Wochenendtouristen (diese Woche u.a.: ein Tross Fußballer-Ehefrauen von Chelsea und Man U). Jedenfalls war es im Norden (Galway ausgenommen) sehr ruhig, erholsam und frisch.

Als ich dann heute wieder allein in Dublin war, habe ich viel gelesen: The Corrections von Jonathan Franzen. Dazu war ich schon lange nicht mehr gekommen. Nun bin ich aber bald durch und finde es schade. Ich überlege, ob ich passenderweise "Ulysses" von James Joyce lesen sollte. Nicht nur, weil ich in Dublin bin, auch, weil mein Umherwandeln in Dublin manchmal einer Odyssee ähnelt. Während meines mehr oder weniger zielgerichteten Umherstreifens warte ich den ganzen Tag darauf, dass mein Handy klingelt: blöder Zustand. Im Internetcafé gab es auch nicht viel neues für mich. Am Nachmittag habe ich mir das Trinity College (mehr Touristen als Studenten) angesehen und bin anschließend zur Nationalgalerie gelaufen. Es ist wunderbar dort, der Eintritt ist frei und morgen werde ich noch einmal hingehen. Ich konnte natürlich lange nicht alles ansehen. Morgen gibt es auch wieder ein hochkarätiges Fußballspiel. Das ist Grund genug, sich in einen Pub zu setzen und ein paar kalte Guinness zu trinken. Das ist nach wie vor das Schönste in Irland.

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